Das ist schon sehr tiefes Wasser, das Herr Tiedemann hier auftischt. Zum einen wirft er grundverschiedene Dinge durcheinander, denn die Liebe zwischen zwei Menschen ist die eine Sache, die Liebe zu den (eigenen) Kindern eine ganz andere. Das sollte man nicht vergleichen. Die Liebe zwischen zwei Menschen wird letztendlich begründet oder initiiert durch den Fortpflanzungstrieb. Die Liebe zu den eigenen Kindern entspringt dem Brutpflegetrieb. Beide Gefühle sind zumindest bei Wirbeltieren weit verbreitet und sichern den Fortbestand der Art.
Nun entspricht es der Natur des Menschen, sich diese Art Gefühl möglichst auszumalen, mit Sinn zu erfüllen. Besonders blumenreich wird es, wenn man in der griechischen Mythologie und dann noch bei Platon anfängt. Dadurch werden die Fakten jedoch vernebelt. Es gibt so etwas wie die Aufklärung und die rückt die Dinge dann in überschaubare Grenzen.
Kritisch wird das Ganze, wenn man anfängt Gefühle zu bewerten und festzulegen, was zu Glück und Erfüllung führt. Es mag sein, dass Herr Tiedemann da ganz bestimmte Vorstellungen hat, aber er vergisst, dass der Mensch von Haus aus dumm ist, weil es unserem Hirn an Kapazität ermangelt, um das woher, wohin und warum zu ergründen. Also Achtung, Hochmut kommt vor dem Fall und Demut gegenüber dem großen Ganzen ist angeraten. Hier sollte wohl jeder nach seinen eigenen Vorstellung glücklich werden.
Im Übrigen hoffe ich, dass die Liebe meiner Frau zu mir und meine zu ihr bis ans Ende unserer Tage reichen wird, Selbsttranszendenz hin oder her.
Etwas ganz anderes ist die Liebe zu den eigenen Kindern, die reicht erst einmal bis zur Abnabelungsphase. Von da ab müssen sie dann selbst sehen, wie es weitergeht, aber lieben darf man sie dann auch noch, wenn man dann von ihnen auch geliebt wird – um so besser. Warum soll man da etwas loslassen – es genügt ja wohl nicht im Wege zu stehen. So leben zu müssen, wie Herr Tiedemann es beschreibt, um sein Leben mit Sinn zu erfüllen – nein, Danke! Da behalte ich doch lieber meinen unreifen Charakter.
Redaktion meint
Artikel vom 19.06.2015 „Die Königsdisziplin der Liebe“ – Markus Tiedemann (FR)
Leserbrief vom 22.06.2015